Goethe SchillerScheinbar zunächst unüberwindbare Gegensätze – aus ihrem Zusammentreffen wird nicht nur eine große, bewegende Freundschaft – ein  wichtiges Kapitel Literaturgeschichte: Eine Sternstunde!

Goethe und Schiller wären im Grunde gar nicht so weit auseinander gewesen: Es trennten sie nur zehn Jahre. Tatsächlich leben sie viele Jahre jeweils in absolut anderen Welten – obwohl jeder, was der andere tat – stets im Auge behielt. Goethe lebte auf der Sonnenseite des Lebens; finanzielle Sorgen hatte er nicht. Am Anfang dieses Buches kommt er ganz erfüllt von seiner zweijährigen Italienreise zurück, zu der er einfach so aus Karlsbad aufgebrochen war.  Er reiste allein und inkognito – beídes war ungewöhnlich. Er reiste über Regensburg, Innsbruck und den Brenner zum Gardasee, nach Verona, Venedig, Ferrara, Bologna, Rom, Neapel und Sizilien. Man muss sich aber vorstellen, wieviele Kilometer, Landschaften er dabei über- oder durchquerte. Die Kilometerzahl weiß´ich nicht; wohl aber, dass er auf Kutschen angewiesen war, die, wenn es gut ging, täglich 100 – 120 km schaffen konnten. Was zeigt, dass er bei aller Geistesgröße auch ein Kraftpaket war, das das alles aushalten konnte. (Sie können ja mal Goethes Italienreise selbst nachlesen: sehr reizvoll.)

Schiller, von ganz anderer Verfassung und von Krankheiten verfolgt, lebte sozusagen im Schatten. Schon scheint seit seinem Medizin-Studium – er musste seine Dissertation ‚Philosophie der Physiologie‘ dreimal verfassen: Bereits hier zeigt sich etwas für ihn Grundlegendes: Alles was er unternahm, betrieb er mit der ihm eigenen Leidenschaft.  So seine Versuche, irgendwo im Körper die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen. Mit diesen Gedanken war er seiner Zeit weit voraus. Dennoch lebte er im Schatten; er wurde ständig von Geldsorgen und auch von Krankheit geplagt. Aber auch von Goethe ist zu sagen, er sei seiner Zeit weit voraus gewesen: Hatte er doch u. vielem anderen das Bindeglied gefunden, das erklären konnte, dass der Mensch vom Tier her stammen müsse: den Zwischenkieferknochen.

Aber es war ihr Schicksal, dass sie einmal zusammenfinden würden: Für beide das größte Geschenk ihres Lebens.

Zunächst einmal waren sie Konkurrenten: Schillers Räuber wurden überall gespielt; Goethe mochte die Art der Schillerschen Dramen nicht: Deren gedachten Menschen zeichneten sich erst aus durch ihr Handeln. Goethe zeichnet „Götz“ und „Werther“ durch ihr Sein – nur das war ihm wichtig. Auch hatten Schillers Frauen etwas Männliches, während Goethe seine Personen durch ihr Sein zeichnet – seine Männer hatten daher etwas eher Frauenhaftes.

In der Sommermonaten der Revolution (auf die ich hier nicht näher eingehe) absolvierte Schiller triumphal sein erstes Semester als Professor der Geschichte. „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte“ hatte großen Andrang und musste in den größten Hörsaal verlegt werden. An Rande der Revolution notiert er: Mir für meine kleine stille Person erscheint die große politische Gesellschaft aus der Haselnußschale, woraus ich sie betrachte...

Bei der Revolution, deren Wirkung auf Goethe und Schiller geschildert wird, bleibe ich nicht stehen. Vor allem aber Schillers (immer noch im Schatten) Fortwirken sei hier in Stichworten erwähnt: Seit 1789 war der ‚Der Dreißigjährige Krieg“ sein Thema. Als er ihn abschloss, waren seine Überlegungen wieder seiner Zeit weit voraus: ‚Ist eine Geschichte … dieser Anwendung fähig, kann sie an die Gattung angeschlossen werden, so hat sie alle Requisite, unter der Hand des Philosophen interessant zu werden. (…) Europa, schrieb er, habe sich zum ersten Mal als eine zusammenhängende Staatengesellschaft erkannt.‘

Einiges überspringend komme ich zu dem Punkt, wo sowohl Goethe als auch Schiller Grund hatten, sich Gedanken um ihre weitere schriftstellerische Laufbahn zu machen. Vor allem Schiller sucht dringend nach bezahlter schriftstellerischer Arbeit; mit der Zeitschrift „Die Horen“ hatte er einen Vertrag abgeschglossen und suchte nun ´die geistigen Köpfe seiner Zeit zur Mitarbeit zu gewinnen. Vor allem Goethe musste gewonnen werden! Es traf sich günstig, dass Goethes Publikationen derzeit auf wenig Publikumsinteresse stießen – wovon Sie dann im Buch nachlesen können.

Nach intensiven Gedankenaustauschen – auch mit anderen, die für die Horen schreiben werden – ist auch Goethe dazu bereit.

Aber es hat sich etwas ganz Besonders angebahnt: Goethe möchte Schiller gerne näher kennenlernen und lädt ihn nach Weimar ein. Mit sofortigen Komplikationen durch Schillers gerade wieder ausgebrochende Krankheit. Aber sie sind endlich zusammen: Schiller ist voller Pläne, will auch. mit ihm über seinen ‚Wallenstein‘ sprechen ; Goethe liest Schiller aus seinen – unveröffentlichten ‚Römischen Elegien‘ vor. Soll Schiller den‘ Egmont‘ überarbeiten? An schönen Tagen machten sie in eifrigem Gespäch Spaziergänge: Dann konnte man die beiden sehen, den Schlanken, Hochgewachsenen und den kleineren Korpulenten;  der eine gestikulierend, der andere die Arme ruhig auf dem Rücken gekreuzt. Goethe beginnt, den früher so verachteten Schiller zu erkennen und zu bewundern.

Als Goethe mit seinem Roman auf der Stelle tritt, diskutiert er nun mit Schiller darüber – Schiller war nun in Goethes Reich eingedrungen. Auf vielen Seiten können Sie nun lesen, wie diese beiden so Gegensätzlichen entdecken, wie hervorragend sie sich gegenseitig ergänzen und geradezu beflügeln. In einem berühmt gewordenen Brief beschreibt es Schiller so: „Wie lebhaft habe ich bei dieser Gelegenheit erfahren, dass das Vortreffliche eine Macht ist, dass es auf sehnsüchtige Gemüter auch nur als eine Macht wirken kann, dass es, dem Vortrefflichen Gegenüber keine Freiheit gibt als Liebe.“

Die vielen Briefe, Gespräche, Überlegungen sind vom Verfasser dieses Buches aus einer schier unübersehbaren Menge aus Briefen, Tagebüchern, Berichten, sowie der umfangreichen literaturwissenschaftlichen Forschung  so zusammengestellt, dass sie auch von uns Heutigen interessant und spannend sind. Vor allem gelingt ihm etwas nahezu Unmögliches: Er lässt die Figuren aus dieser Zeit so lebendig auferstehen, dass man sie vor sich zu sehen meint.

Ihre Freundschaft ist eine Sternstunde des deutschen Geistes: Friedrich Schiller bringt seine Dramen mit Goethes Hilfe auf die Bühne.

Johann Wolfgang von Goethe erlebt durch Schiller in Weimar seine zweite Jugend.

Dennoch ist ihre gemeinsame Geschichte nicht frei von Konflikten: etwa Schillers Neid auf den bewunderten Goethe oder Goethes Angst vor dem Aufstieg Schillers. Trotz aller Gegensätze lernte Schiller in der Freundschaft, „dass es dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe“. Und jeder der beiden sagte vom anderen: er sei ihm der wichtigste Mensch gewesen.

Am Schluss ist nicht nur Schiller, sondern auch Goethe krank Im letzten Brief vom 25. April 1805 schickt er eine schematische Übersicht zur Farbenlehre und Anmerkungen zu ‚Rameaus Neffe‘. Schiller liest darin. Noch ein paar Tage, dann stirbt Schiller , am Abend des 9. Mai. Er wurde 46 Jahre alt. Aber ich wünschte, dass viele, die diese Biographie gelesen haben, auch einmal nicht nur die Theaterstücke, sondern auch seine sonstigen Schriften lesen werden. Man findet sie nämlich auch heute noch interessant und lesenswert. Natürlich kann ich mich irren: Aber auch in der Gegenwart steht das Schaffen Schillers wieder etwas im Schatten Goethes, dessen – wirklich wunderbares – Gesamtwerk, wo es natürlich auch wieder ‚Bestseller‘ und die Bücher für Spezialisten und Insider gibt, nach wie vor gelesen wird.

Goethe überlebte Schiller  noch 27 Jahre und starb 1832 mit 83 Jahren. Ihre gemeinsame Schaffensperiode von 1794 bis 1805 wird als „Weimarer Klassik“ bezeichnet. Man wird sie nun immer in einem Atemzug nennen. Und auf dem Theaterplatz in Weimar steht vor dem Deutschen Nationaltheater als Doppelstandbild das Goethe- und Schiller-Denkmal. Eine Besonderheit ist, dass die „Dichterfürsten“ Goethe und Schiller in gleicher Körpergröße dargestellt sind, obwohl Schiller mit 1,90  m erheblich größer war als Goethe mit nur 1,69  … Wieder ein Gegensatz; man hat ihn aber einfach beseitigt.

Insgesamt geht von diesem Buch etwas ganz Besonderes aus: Man beginnt mitzuerleben, was in diesem wichtigen Abschnitt der Literaturgeschichte geschah: Wie beide über sich hinauswuchsen. Goethe: ‚Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt‘, erlebt – mit seinen vielen Reisen – die Welt, wie sie damals war.  Er will sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. Schiller jedoch, lebenslang in seiner ‚Haselnußschale‘ will etwas sehr Vergleichbares, in dem er liest, denkt und schreibt. Dass Goethe das sehr wohl erkannt hat, geht aus einer Notiz und den ‚Tag- und Nachtheften hervor: „Schillers ideeller Tendenz konnte ich meine reelle gar wohl nähern, und weil beide vereinzelt doch nicht zu ihrem Ziel gelangen, so traten beide zuletzt in einem lebendigen Sinne zusammen.“

Mit dem Hinweis, dass Sie dieses Buch unbedingt auf Ihre Bücherliste setzen sollten,  möchte ich es nicht bewenden lassen.
Zum einen gibt es – auch jetzt neu – den gesamten Briefwechsel Goethe-Schiller. Sie werden darin Einzelheiten von all dem, was in dieser Biographie gechildert wird, finden. (Wie gut, dass man damals noch nicht telefonieren konnte!)

Zum anderen sollten Sie sich einmal all die Bücher von Rüdiger Safranski anschauen:  Außer vielen Büchern mit Essays zu wichtigen Literaturgebieten und Lebensfragen hat er Bücher über: Frredrich Schiller, Schopenhauer, E.T.A. Hoffmann, Nietzsche geschrieben.

Sie sind neugierig geworden? Ich möchte einmal erklären, wie man die Bücherliste eines Autors, ganz gleich ob Goethe, Schiller oder in diesem Falle Safranski in der literaturkurier.net  ganz leicht findet: Sie klicken vorne , auf der Eingangsseite auf „Erweiterte Suche“. Bei der Zeile „Autor“ geben Sie „Safranski, Rüdiger“ ein (oder nach welchem Autor Sie suchen). Nun klicken Sie unten auf den Button „Suchen“ – jetzt können sie einen Überblick über den jeweiligen Autor ansehen.

Rüdiger Safranski, geboren 1945, Philosoph und Schriftsteller, lebt in Berlin. Er veröffentlichte Biographien über E. T. A. Hoffmann, Schopenhauer und Heidegger sowie den großen philosophischen Essay „Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und Lebbare“. Rüdiger Safranski erhielt 2006 den „WELT-Literaturpreis“ und den „Friedrich-Hölderlin-Preis“, 2009 den Corine – Internationaler Buchpreis, Kategorie Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten für sein Lebenswerk.

Ich hoffe, ich habe Sie auch diesmal rundherum informiert. Sie wissen, ich stelle Ihnen immer nur wirklich besondere und gut lesbare Bücher vor. Ich wünsche Ihnen auch diesmal viel Freude und Gewinn beim Lesen.

Ingeborg Gollwitzer